Die Rothemden-Proteste - eine persönliche Chronik - Teil 1: Prolog und März 2010
Die Rothemden-Proteste - eine persönliche Chronik - Teil 3: 18. - 20. April - die Barrikade und der Aufmarsch der Sicherheitskräfte
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1.-17.April 2010: wachsende Spannungen in Bangkok, der gescheiterte Versuch einer Niederschlagung und Protest an der Rachaprasong
Anfang April 2010 musste ich Thailand verlassen, um in Deutschland ein neues Jahres-Visum zu beantragen. Ich kehrte erst am 15.April zurück und war daher nicht Augenzeuge der Ereignisse vom 7. und 10.April 2010. Aus diesem Grund greife ich bei der Beschreibung der Ereignisse auf Nachrichtenberichte und die Aussagen von Augenzeugen zurück. Und da es verständlicherweise keine Fotos von mir geben kann, habe ich diesmal ausnahmsweise zwei kurze You-Tube-Videos eingearbeitet, die einen Eindruck vom Abend der versuchten Niederschlagung vermitteln sollen.
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7.April
Sturm des Parlaments und Verhängung des Ausnahmezustandes
Tausende von Rothemdem, angeführt von Arisman Pongruengrong, einem der Köpfe der UDD, versammelten sich vor dem Haupttor des Parlamentsgeländes, während die Volksvertreter im Parlament tagten. Die Zahl der Protestler überstieg die Zahl der zum Schutz abgestellten Polizisten bei weitem. Als wütende Demonstranten die Tore aufbrachen und aufs Gelände stürmten, hatten die Polizisten keine Chance und wurden einfach überrannt.Nirmal Ghosh (Strait Times, April 7, 2010) berichtete:
Allem Anschein nach wurden zwei "Bomben", bei denen es sich wahrscheinlich um Tränengasgranaten handelte, in die Menschenmenge geworfen, oder wurden zumindest in der Menge gefunden. Keine der beiden Granaten explodierte. Bei den Demonstranten löste es (der Fund) wütende Reaktionen aus und daraufhin, angestachelt von Arisman Pongruenrong, drängten durch die Tore und überrannten die zahlenmäßig unterlegenen Polizisten. Die Polizeikräfte brachten sich vor dem Eingang des Hauptgebäudes erneut in Stellung. Mehrere Abgeordnete der oppositionellen Puea Thai Partei kamen heraus und baten die Rothemden, sich zurückzuziehen, was heftige Diskussionen auslöste.
Ein Reporter der Tageszeitung Matichon schrieb am April 7, 2010:
Im gleichen Moment, als die Demonstranten versuchten, die Eisentore zum Gelände aufzubrechen, wurden mehrere Polizisten zu Boden geschleudert. Dabei fielen ihnen die Granaten aus den Hosentaschen. Die Protestler hoben sie auf und zeigten sie Arisman, der sich zu diesem Zeitpunkt auf der mobilen Bühne befand. Die Granaten waren nicht gezündet und die Sicherungsringe waren nicht entfernt worden.
Quelle:
http://saiyasombut.wordpress.com/2010/04/07/state-of-emergency-declared-in-bangkok-as-red-shirts-stormed-parliament-compound/ (nur in Englisch)
Der Premierminister beendete die Parlamentssitzung und die Abgeordneten flohen vor den Demonstranten, indem sie über die Grundstücksmauern kletterten oder mit einem Militärhubschrauber evakuiert wurden.
Noch am selben Tag verhängte Premierminister Abhisit Vejjajiva den Ausnahmezustand.
Während des Ausnahmezustandes darf das Militär eingesetzt werden, um die Ordnung wieder herzustellen, Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten, die Regierung kann Ausgangssperren verhängen,
Medien können zensiert oder daran gehindert werden, Nachrichten zu veröffentlichen, die Unruhen oder Gewalt auslösen können und verdächtige Personen können ohne Haftbefehl bis zu 30 Tage eingesperrt werden.
Die Rothemden haben jegliche Verantwortung für den Zwischenfall abgelehnt und machten eingeschleuste Provokateure verantwortlich.
Bernd Musch-Borowska berichtete am 7.April 2010 für die DW:
Angeblich befanden sich unter den Demonstranten mehrere Agents Provocateurs (eingeschleuste Unruhestifter). Bei mehreren Personen, die sich wie Rothemden gekleidet hatten, wurden Schusswaffen und Munition sichergestellt und anschließend von den Aufpassern und Sicherheitsleuten der UDD in den Gewahrsam der Polizei übergeben.
Einer der UDD-Sicherheitsleute, ein ehemaliger Polizist, war wütend:"Wir haben diese Waffen bei Leuten gefunden, die sich zwar wie Rothemden gekleidet hatten, aber in Wirklichkeit nicht zu uns(erer Bewegung) gehören. Daher wollen wir wissen, wer sie geschickt hat und wie sie auf das Gelände des Parlamentes gelangt sind. Irgendjemand will unser Ansehen schädigen und Gewalt provozieren.
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10th April
"Cruel April - เมษาโหด" - der gescheiterte Versuch der Niederschlagung des Protestes
Am späten Abend des 10 April erhielt ich einen Anruf aus Bangkok von meiner Frau. Sie berichtete mir, dass die Armee das Camp der Rothemden an der Phan Fa angreifen würde und dass sie (meine Frau) versuchen wolle, dorthin zu gelangen. Schon während des ganzen Tages kursierten in der Stadt Gerüchte, dass die Armee die Camps räumen wolle. Es war jedoch nicht bekannt, wann und wo die Armee losschlagen würde. Als der Einsatz begann, war meine Frau gerade im neuen Camp der Rothemden an der Rachaprasong-Kreuzung.
An diesem Abend spielten sich an der Phan Fa-Brücke und am Denkmal der Demokratie chaotische Szenen ab. Die Soldaten drängten mit Macht in das besetzte Areal vor und die Demonstranten leisteten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Widerstand. Schüsse wurden abgefeuert und Granaten explodierten. An diesem Abend starben 26 Menschen: 19 Demonstranten, 6 Soldaten und der japanische Kameramann Hiro Moramoto (http://en.wikipedia.org/wiki/Hiro_Muramoto), und mehr als 800 Menschen wurden verletzt. Es gelang der Armee jedoch nicht, die Proteste zu beenden.
Angehörige mit Bildern der Opfer während einer religiösen Zeremonie am Demokratie-Denkmal, sechs Monate nach der gescheiterten Niederschlagung. |
Diese kurzen Filme, am 10.April 2010 von jemanden auf You Tube hochgeladen, der sich selbst als demagoguing bezeichnet, vermitteln einen kleinen Eindruck von den Ereignissen dieses Abends.
Die beiden youtube Videos sind leider nicht mehr verfügbar (aus welchem Grund auch immer)!
Der Apotheker Jet Phulaphramayoorn, erklärte Nicola Glass am 11. April 2010 in einem Interview seine Interpretation der Geschehnisse:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1164041/
Das Militär dagegen weist jede Verantwortung für die Eskalation der Strassenkämpfe vom 10.April von sich und behauptet, man habe sich lediglich gegen Angriffe der sogenannten Schwarzhemden, einem militanten Flügel der Rothemden, verteidigt. Diese Schwarzhemden seien verantwortlich für die Toten und Verletzten.
Nicola Glass schrieb:
Nicola Glass: Two years on, still no justice (nur in Englisch)
Bis heute ist unklar, wer im Einzelnen für die vielen Toten und Verletzten verantwortlich ist. Leider lieferte der Bericht der TRCT, die die Hintergründe aufdecken und die Verantwortlichen für die Toten und Verletzten vom 10 .April und 19. Mai ermitteln sollte, nur wenige neue Ergebnisse, kaum Beweise und überwiegend einseitige, unfundierte Vermutungen (the Truth for Reconciliation Commission).
Zum Gedenken an die Opfer ließen Angehörige und Protestler leuchtende Lampions in den Abendhimmel aufsteigen. |
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16. April
Die Rothemden an der Rachaprasong
Nach der gescheiterten Niederschlagung konzentrierte die UDD-Führung den Protest auf das Protest-Camp an der Rachaprasong-Kreuzung, dem Herzen von Bangkoks wichtigstem Einkaufs- und Geschäftsviertel. Indem sie das gesamte Viertel von der Silom Road bis zur Petchaburi Road (Nord-Süd-Achse) und von der MBK-Shopping Mall an der Phaya Tai Road bis zur Phloen Chit Road (Ost-West-Achse) absperrten und besetzten, wollten sie den Druck auf die Regierung erhöhen. Das besetzte Areal umfasste mehr als vier Quadratkilometer. Hier befinden sich unter anderem die größten Kaufhäuser Bangkoks, zahlreiche internationale Hotels, Zentralen von Versicherungsunternehmen und Banken, Luxuswohnanlagen, der berühmte Eriwanschrein und der Lumpini Park. Die Besetzung dieses Viertels hat zahlreiche Unternehmen und viele Bangkoker Geschäftsleute sehr geschmerzt. Außerdem wurden dadurch zwei von Bangkoks Hauptverkehrsadern blockiert, was den Verkehr in großen Teilen der Stadt vollends kollabieren ließ.
Hauptbühne an der Rachaprasong. |
Das zu diesem Zeitpunkt noch überwiegend provisorische Camp. |
Manchmal ist auch ein Schlafplatz zwischen den Beinen eines Bonze-Elefanten ganz gemütlich. |
Nach dem Sturm auf das Parlament werden die Rothemden von der Regierung offiziell als Terroristen gebrandmarkt. Diese wiederum verglichen Premierminister Abhisit mit Adolf Hitler. Flugblätter wie dieses waren überall in der besetzten Zone zu finden.
Abhisit Vejjajiva als Adolf Hitler. |
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17. April
Trotz der Ereignisse vom 10.April und der Verhängung des Ausnahmezustandes waren die Rothemden nicht bereit, sich dem Druck der Regierung und der Armee beugen. Am Abend des 17. April hatten sich mehr als 10.000 Menschen vor der Bühne an der Rachaprasong Kreuzung versammelt um der Opfer zu gedenken. Die UDD-Führung hatte beschlossen unter anderem auch Filme und Bilder von den Kämpfen und den Opfern zu zeigen. In meinen Augen eine unverantwortliche Entscheidung, denn zu diesem Zeitpunkt konnte niemand vorhersagen, wie die Protestler auf die Bilder reagieren würden.
Eine Woche nach dem gescheiterten Versuch der Niederschlagung - Gedenken für die Opfer
Trotz der Ereignisse vom 10.April und der Verhängung des Ausnahmezustandes waren die Rothemden nicht bereit, sich dem Druck der Regierung und der Armee beugen. Am Abend des 17. April hatten sich mehr als 10.000 Menschen vor der Bühne an der Rachaprasong Kreuzung versammelt um der Opfer zu gedenken. Die UDD-Führung hatte beschlossen unter anderem auch Filme und Bilder von den Kämpfen und den Opfern zu zeigen. In meinen Augen eine unverantwortliche Entscheidung, denn zu diesem Zeitpunkt konnte niemand vorhersagen, wie die Protestler auf die Bilder reagieren würden.
Die Bilder der getöteten Rothemden, der attackierenden Soldaten, die tödliche Verwundung des Kameramanns Hiro Muramoto und der ohrenbetäubende Lärm der Schüsse und Explosionen hatten eine außerordentlich starke Wirkung auf die Zuschauer. Einige zeigten wütende Reaktionen, andere konnten ihre Tränen nicht mehr zurückhalten...
...andere wandten ihre Blicke ab oder schlossen ihr Augen, da sie die Bilder auf der Leinwand nicht ertragen konnten. Zu diesem Zeitpunkt hatten viele die Ereignisse vom 10.April noch längst nicht verarbeitet.
Zur gleichen Zeit verbreitete sich in Windeseile das Gerücht, die Armee hätte auf den Dächern der umliegenden Häuser Scharfschützen positioniert, um die Anführer der UDD zu eliminieren. Daher wurden sofort Suchscheinwerfer besorgt und aufgestellt, um die Fenster und Dächer der Häuser besser nach verdächtigen Personen oder Bewegungen absuchen zu können. Außerdem beobachteten mit Feldstechern ausgerüstete Wachen die Umgebung. Später wurden dann großflächig engmaschige Netze als Sichtschutz über der Bühne und diversen Stellen des Lagers befestigt.
Ende von Teil 2
Die Rothemden-Proteste - eine persönliche Chronik - Teil 1: Prolog und März 2010
Die Rothemden-Proteste - eine persönliche Chronik - Teil 3: 18. - 20. April - die Barrikade und der Aufmarsch der Sicherheitskräfte
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Ich verfolge gespannt deine Chronik und werde sie auch nochmal im Ganzen zusammenhängend lesen. Deine persönliche Sicht auf die Dinge ist sehr eindringlich. All das hat man hier so natürlich nicht erfahren.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Calendula
Erstmal Danke für die netten Worte! Bis du die gesamte Chronik lesen kannst, musst du dich allerdings noch in Geduld üben, denn der letzte Teil wird erst am 19. Mai erscheinen, dem Tag, an dem das Militär die Proteste vorübergehend mit brutaler Gewalt beendete. Dass ihr diese Dinge kaum erfahren habt liegt daran, dass erstens: die Redaktionen Süd-Ost-Asien nachrichtentechnisch als untergeordnet einstufen (meine Frau ist Korrespondentin, daher ist mir die Einstufung bekannt), und zweitens: viele (nicht alle) der sogenannten Experten und Star-Journalisten haben und hatten keine Ahnung von dem Konflikt und der thailändischen Gesellschaft. Viele kamen erst zwei oder drei Tage vor der Niederschlagung im Mai nach Bangkok und meinten, sie könnten die Situation beurteilen oder gar erklären. Da ist teilweise ein unglaublicher Schwachsinn über die Sender gegangen.
AntwortenLöschenPS: im Fall Somyot - bezüglich der Berufung wird noch beraten, der Antrag zur Freilassung auf Kaution wurde wie nicht anders zu erwarten abgelehnt.
Alles Gute aus Bangkok und noch schöne Wanderungen,
Holger
Ja, habe mir schon gedacht, dass da noch mehr Teile kommen...
LöschenDie Einordnung der Redaktionen Süd-Ost-Asien als "untergeordnet" ändert sich nur dann schlagartig, wenn irgendetwas geschieht, bei dem Europäer (oder nur Deutsche...) betroffen sind. Für mich immer wieder bezeichnend waren die Berichte über den Tsunami Weihnachten 2004: das hätten wir hier vielleicht in einem Nebensatz erfahren, wenn da nicht viele deutsche Touristen unter den Opfern gewesen wären. Und die waren in den Medien so präsent, dass man fast glauben konnte, dass SIE unter den Opfern in der Mehrzahl gewesen wären. Ich hoffe, dass die vielen Gelder, die da gespendet wurden, auch die einheimische Bevölkerung erreichten.
Was Somyot betrifft befürchte ich fast, dass der "Weg der Justiz" bereits vorgegeben ist: manches kommt mir irgendwie wie "Geplänkel" (oder Show?) für's Ausland vor. Die Touristen bringen ja das Geld ins Land. Die darf man sich nicht vergraulen.
Liebe Grüße und auch ein gutes neues (buddhistisches) Jahr!
Calendula
Moin Holger,
AntwortenLöschenwow, Du hattest ja schon viel erzählt, aber Deine Berichte hier sind noch viel eindringlicher!
Wann kommt Ihr dieses Jahr?
LG
Michael
Aha, Mr. Anonym also!!!
LöschenSo wie es aussieht, kommen wir beide diesmal zusammen gegen Ende August bzw. Anfang September nach Deutschland. Ich in jedem Fall, da ich wieder mein Jahresvisum beantragen muss.
LG
Holger