Mittwoch, 30. Oktober 2013

Die Spannungen in Bangkok steigen

Das thailändische Parlament/Repräsentantenhaus.

























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Einige von euch erinnern sich sicherlich noch an meinen Blogeintrag vom 2.August 2013 "Thailands Gerüchteküche kocht mal wieder" (http://yanawa.blogspot.com/2013/08/thailands-geruchtekuche-kocht-mal-wieder.html). Konservative und ultra-nationalistische Oppositionsgruppen (parlamentarische und außerparlamentische) starteten in Bangkok eine Reihe von Anti-Regierungsprotesten, weil die regierende Partei Pheu Thai einen Gesetzesentwurf für eine Generalamnestie vorgelegt hatte. Die Amnestie sollte Straffreiheit für alle Lager gewähren, die an den Protesten, Unruhen und deren Niederschlagung in Mai 2010 beteiligt waren, und zwar rückwirkend bis zum Putsch vom September 2006. Im ersten Entwurf waren allerdings Thaksin Shinawatra, Abhisit Vejjajiva, Suthep Thaugsuban und die Armee von der Amnestie ausgeschlossen. Aber die Opposition befürchtete, dass der Gesetzesentwurf nachträglich zugunsten von Thaksin, der im September 2006 aus dem Amt geputscht worden war, modifiziert werden und man ihm damit die Rückkehr nach Thailand ermöglichen könnte.

Und sie lagen richtig mit ihrer Befürchtung!

Die erste Fassung der Gesetzesvorlage, eingebracht vom Pheu Thai Abgeordneten Worachai
Hema, (...sollte keine Straffreiheit für den abgesetzten Premier Thaksin Shinawatra, die Anführer der Proteste und für die für die gewaltsamen Niederschlagungen durch das Militär verantwortlichen Machthaber gewähren, für alle anderen aber, die bereits wegen politischer Straftaten und Gewalt verurteilt worden sind, sollte die Amnestie gelten... http://www.bangkokpost.com/news/local/375890/pheu-thai-presses-amnesty-bid) wurde vom Hauskomitee umgeschrieben und vom Ex-Premier Somchai Wongsawat (Mitglied der Pheu Thai und Schwager von Thaksin Shinawatra) befürwortet. Die überarbeitete Fassung schließt nun Thaksin, Abhisit, Suthep und alle verantwortlichen Autoritäten die Niederschlagungen von 2010 mit ein.

...Aber der Ausschuss stimmte der Überarbeitung des Artikels 3 der Gesetzesvorlage zu, allen Personen, die an den politischen Unruhen beteiligt waren, einschließlich der Anführer der Proteste sowie Soldaten und denjenigen Autoritäten, die die Niederschlagungen angeordnet hatten, eine Generalamnestie zu gewähren. 
Der überarbeitete Abschnitt erklärt außerdem die Entscheidungen des inzwischen aufgelösten Asset Scrutiny Committee (ASC - dem Komitee zur Vermögensüberprüfung ) für ungültig, welches nach dem Putsch 2006 die Unregelmäßigkeiten während der Regierungszeit von Thaksin Shinawatra untersucht hatte. Das gilt auch für die Ermittlungen der Anti-Korruptions-Kommission, die die Fälle vom ASC übernommen hatte...
http://www.bangkokpost.com/news/local/375890/pheu-thai-presses-amnesty-bid


Die zweite und die dritte Lesung der überarbeiteten Fassung finden vom 31.Oktober bis zum 2.November 2013 im Repräsentantenhaus statt, teilte der Parlamentssprecher Somsak Kiatsuramont am 29.Oktober mit. Die Lesungen beginnen um 10.00 Uhr morgens.


Die erweiterte Fassung des Gesetzentwurfes löste eine Welle der Empörung aus. Nicht nur die Oppositionsparteien und die außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen sind strikt gegen besagte neue Fassung, sondern auch Koalitionspartner der Pheu Thai Party als auch einige Mitglieder der Pheu Thai selbst (in 2010 Anführer der Rothemden) sowie Angehörige und Hinterbliebene der Opfer der Niederschlagungen. Die Unterstützer der "Anti-112"-Bewegung (z.B. das 112 Family Network) lehnen das Gesetz ebenfalls ab, weil politische Gefangene bzw. wegen Majestätsbeleidigung Verurteilte von der Amnestie ausgeschlossen sind.

Aber warum fürchtet sich die Opposition so sehr vor der Rückkehr Thaksins? 
Wegen der Generalamnestie wäre Thaksin nicht länger aus der Politik verbannt und könnte sofort in die Politik zurückkehren (was sehr wahrscheinlich ist). Seine Schwester bräuchte dann nur noch das Parlament aufzulösen und vorgezogene Neuwahlen auszurufen, und es ist zur Zeit keine Frage, wer die Wahl gewinnen und der nächste Premierminister von Thailand wäre. Thaksin wurde durch einen Putsch aus dem Amt gejagt und lebte für nahezu fünf Jahre im Exil (seit dem Gerichtsurteil 2008). Er wurde öffentlich gedemütigt. Und wenn es etwas gibt, was ein Thai weder vergibt noch vergisst, dann ist es eine öffentliche Demütigung. Ein Grund wäre daher, dass die Führer der Opposition nach einer möglichen Rückkehr Thaksins in die Politik sich vor einen möglichen Rachefeldzug fürchten. Es gibt noch weitere mögliche Gründe, auf die ich hier leider nicht eingehen kann, da ich in Thailand lebe und hier es per Gesetz verboten ist, öffentlich darüber zu reden oder zu schreiben.

Armeechef General Prayuth Chan-ocha erklärte, das Militär brauche keine Amnestie, da die Soldaten nur Befehle ausgeführt hätten und die Königlich-Thailändische Armee keine der am Konflikt beteiligten Parteien gewesen sei.
http://www.bangkokpost.com/news/security/376878/prayuth-army-does-not-want-amnesty

Die oppositionelle Democrat Party ist ebenfalls gegen den Gesetzesentwurf und erklärte, dass sie alles unternehmen werde, um die Abstimmung über das Gesetz so lange wie möglich hinauszuzögern. Ihr Ziel ist es, den Anti-Regierungsbewegungen genügend Zeit zu geben, um Massenproteste zu organisieren.  Außerdem wollen sie sich den Straßenprotesten anschließen.

Am 7.August 2013 folgten nur ca. 2.500 Demonstranten dem Protestaufruf der Democrat Party.
























Mehrere außerparlamentarische Oppositionsgruppen haben sich am Sonntag, den 27.Oktober zusammengeschlossen. Sie nennen sich jetzt PART (People's Assembley Reforming Thailand - Volksversammlung für die Reformierung Thailands). Die neue Gruppierung setzt sich zusammen aus ehemaligen Mitgliedern und Anführern der inzwischen aufgelösten PAD (People's Alliance for Democracy), Mitstreitern der Pitak Siam-Bewegung (ebenfalls aufgelöst), der PEFOT-Bewegung (People's Force for Democracy to Overthrow Thaksinism), welche ein permanentes Camp im Lumpini Park eingerichtet hat, und dem Studenten- und Volksnetzwerk für Thailand (zusammen mit den White Masks), die seit Wochen an der Urupong-Straßenkreuzung demonstrieren.

Die PEFOT-Bühne im Lumpini Park




Bilder mit Anti-Thaksin bzw. Anti-Regierungspropaganda.




White Mask-Demonstranten




































































Interessanterweise aber protestieren auch mehrere Gruppierungen der Rothemden gegen das geplante Amnestiegesetz. Darunter Sombat Boon-ngam-anongs Red Sunday Bewegung, Anhänger von Surachai Danwattananusorn sowie Unterstützer der Free Somyot Bewegung. Sombat erklärte am 29.Oktober, dass er sich mit mehreren Vertretern anderer Red Shirt-Gruppierungen getroffen und man vereinbart habe, am Sonntag, den 10. November einen Massenprotest gegen das neue Gesetz zu organisieren.
...Sombat räumte ein, dass die Aktivisten nicht viel Zeit hätten, die Menschen gegen die Generalamnestie zu mobilisieren, wenn das Repräsentantenhaus die dritte Lesung des Gesetzentwurfes bereits am Samstag halte. Dennoch sei er überzeugt, dass mehr als 10.000 Menschen dem Protestaufruf folgen würden...
(http://www.bangkokpost.com/breakingnews/377037/red-shirts-vow-to-rally-against-blanket-amnesty-bill)

Natürlich wären die meisten Rothemden über eine baldige Rückkehr Thaksins nach Thailand  hocherfreut, ALLERDINGS nicht um jeden Preis. Während des Protestes an der Ratchaprasong-Kreuzung am letzten Sonntag, den 27.Oktober, erklärten uns mehrere Demonstranten, dass diejenigen, die für die Gewalt und die Toten und Verletzten während der Proteste in 2009 und 2010 verantwortlich seien, auch zur Verantwortung gezogen werden müssten (was in Thailands Geschichte bisher noch nie passiert ist). Sie sollten nicht ungeschoren davonkommen, wie schon so häufig zuvor. Würden die Verantwortlichen wieder mal ohne Bestrafung davon kommen, so wäre das ein Freibrief für weitere Gewalt, Niederschlagungen und Militärputsche in der Zukunft.


Ca. 250 - 350 Rothemden protestierten am 27.Oktober gegen das Amnestiegesetz an der Ratchaprasong-Kreuzung.



Protest der Red Sunday Bewegung gegen den Gesetzesentwurf am 27.Oktober 2013.















































Der Artikel AMNESTIE FÜR ALLE: WAS WERDEN UNSERE KINDER SAGEN von Anuthee Dejthevaporn (Prachatai: http://www.prachatai3.info/english/node/3720) bringt das Problem auf den Punkt:
...If the ‘Amnesty for All’ bill is passed, then consider the consequences that may come. What will our children say, if one day they also get killed in a future political conflict and they have to fight for the justice all over again by themselves? What will our children say, when they realize that we, their parents, could have done some big things to create the true justice in this land for them, but sadly we didn’t?...

Die nächsten Tage und Wochen könnten sehr spannend werden. Wird die Anti-Thaksin und Anti-Regierungsbewegung in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit genügend Unterstützer zu mobilisieren, um neue Massenproteste zu organisieren? Wird es eventuell zu neuen gewaltsamen Zwischenfällen kommen? Oder ist es wieder mal der berühmt-berüchtigte Sturm im Wasserglas? Meiner Meinung nach ist das Momentum der Opposition noch nicht groß genug, um Zehntausende auf die Straßen zu bringen. Und zehn- bis zwanzigtausend Demonstranten reichen bei weitem nicht aus, die Regierung zu stürzen oder die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern.


2 Kommentare:

  1. Amnestiegesetz klingt ja als erstes mal positiv. Aber wenn man deinen Artikel hier weiter liest, dann kann das Ganze etwas sehr Negatives werden. Da bin ich auch mal gespannt, was tatsächlich daraus wird.
    LG Calendula

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    1. Wow, das war aber eine schnelle Reaktion auf meinen neusten Post. Naja, Positives kann ich da leider nicht entdecken, denn es geht hier darum, Menschen (aus allen Lagern) zu amnestieren, die für schlimme Verbrechen verantwortlich sind. Aber das hat in Thailand leider schon eine lange Tradition.

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